Stammzellentherapie für Diabetes Typ 1

Die Stammzellenbehandlung für Diabetes ist ein neues, vielversprechendes Forschungsgebiet, insbesondere für Typ-1-Diabetes [1].
In diesem Artikel stellen wir die neuesten Fortschritte in der Stammzellforschung für Typ-1-Diabetes, die möglichen zukünftigen Heilungschancen für Typ-1-Diabetes durch Stammzelltechnologie sowie die Herausforderungen und Risiken dieser potenziellen Behandlung vor.
Was ist Stammzelltherapie?
Stammzelltherapie ist eine vielversprechende Behandlung für verschiedene Erkrankungen, einschliesslich Diabetes [1, 2]. Um zu verstehen, wie sie funktioniert, müssen wir zuerst verstehen, was Stammzellen sind.
Was sind Stammzellen?
Stammzellen sind einzigartige unspezifische Körperzellen, die sich erst noch zu einem spezifischen Zelltyp entwickeln müssen [2].
Der menschliche Körper braucht Stammzellen, um neues Gewebe zu erzeugen; Stammzellen sind der Ursprung für Zellen in Geweben [2]. Stammzellen können sich beliebig oft teilen und erneuern und bei Bedarf in spezifische Zellenarten ausdifferenzieren [2].
In verschiedenen Lebensphasen haben wir Stammzellen in unserem Körper – vom Embryo bis zum Erwachsenenalter [2].
Woher kommen Stammzellen?
Stammzellen existieren in den meisten Geweben des menschlichen Körpers, so dass sie verschiedenen Stellen entnommen werden können [2]. Häufige Quellen für die Entnahme von Stammzellen [2]:
- Embryonen
- Nabelschnur
- Knochenmark
- Zähne und Zahngewebe
Stammzellforschung und - therapie
In der Stammzellforschung isolieren und kontrollieren Wissenschaftler Stammzellen im Labor, um sie zur Bildung neuer Stammzellen oder anderer spezifischer (oder differenzierter) Zelltypen oder Gewebe zu verwenden [2].
Mit Hilfe der Forschung können wir besser verstehen, wie sich bestimmte Erkrankungen entwickeln und einen Weg zur Behandlung finden[2]. Die Stammzelltherapie hat erhebliches Potenzial in der regenerativen Medizin, da Stammzellen in der Lage sein können, Gewebe neu aufzubauen, das unter bestimmten Bedingungen geschädigt wird [2]. Möglicherweise können Stammzellen künftig zur Wiederherstellung von Herzgewebe nach einem Herzinfarkt oder zur Behandlung degenerativer Erkrankungen eingesetzt werden [2].
In den letzten Jahrzehnten wuchs das Interesse an Stammzelltherapie zur Behandlung oder Heilung von Typ-1-Diabetes [3].

Wie können Stammzellen zur Diabetesbehandlung eingesetzt werden?
Bei Typ-1-Diabetes oder insulinabhängigem Diabetes greift das Immunsystem insulinbildende Betazellen in der Bauchspeicheldrüse an [3]. Dadurch entsteht in der Bauchspeicheldrüse nicht genügend Insulin, was zu hohem Blutzucker und diversen gesundheitlichen Problemen führt [3].
Die tägliche Verabreichung von Insulin ist für Menschen mit Typ-1-Diabetes zur Regulierung des Blutzuckerspiegels unerlässlich [3]. Die Insulineinnahme kehrt jedoch weder den Typ-1-Diabetes um, noch hilft sie Menschen, Insulinunabhängigkeit zu erreichen und ohne Medikamenteneinnahme einen normalen Blutzuckerspiegel zu erreichen [3].
Bei der Suche nach einer Behandlung für Typ-1-Diabetes, die das Blutzuckermanagement wieder herstellt, damit Menschen nicht mehr auf Insulin angewiesen sind, haben Pankreastransplantationen oder Pankreas-Inselzelltransplantationen vielversprechende Ergebnisse gezeigt [3]. Dennoch gibt es Einschränkungen bei dieser Behandlungsoption und die Risiken einer Abstossung und Spendermangel haben Forscher dazu gebracht, nach Alternativen wie Stammzelltherapie zu suchen [3].
Mit Hilfe von Stammzellen können insulinbildende Zellen, Langerhans-Inseln (Cluster dieser Zellen) oder sogar komplette Bauchspeicheldrüsen gebildet werden [3]. Dieser Fortschritt könnte ein echter Durchbruch bei der Behandlung von Typ-1-Diabetes sein [3].
Bisherige Forschung zur Stammzelltherapie bei Diabetes
Bisher haben Forscher mehrere Stammzelltypen verwendet, um insulinproduzierende Zellen zu erzeugen oder die normale Entwicklung der Bauchspeicheldrüse nachzuahmen, mit unterschiedlichen Erfolgen [3]. In den letzten beiden Jahrzehnten haben mehrere Tierstudien gezeigt, dass transplantierte Beta-ähnliche Zellen (die aus Stammzellen gewonnen werden) Insulin absondern, hohen Blutzucker umkehren und monatelang einen gesunden Blutzuckerspiegel halten können [3].
Es gibt jedoch signifikante Unterschiede zwischen Tiermodellen und Menschen [3]. Was also zeigt die Forschung am Menschen?
Klinishce Studien
Mehrere klinische Studien der letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass Knochenmarkstammzellen und Nabelschnurstammzellen Fälle von neu einsetzendem Typ-1-Diabetes verbessern könnten [3]. Diese Studien haben ergeben, dass die Behandlung dazu beitragen könnte, die Funktion der Betazellen zu erhalten, den Blutzuckerspiegel zu senken, den täglichen Insulinbedarf zu verringern und die Episoden schwerer Hypoglykämien zu reduzieren [3].
Obwohl sich die Behandlungen in diesen Studien als wirksam und gut verträglich erwiesen, waren sie insgesamt überschaubar, mit einer kurzen Nachbeobachtungszeit und kein Patient erreichte Insulinunabhängigkeit, was bedeutet, dass jeder Teilnehmer weiter Insulin spritzen musste [3].
Neuere Forschungen ergaben diesbezüglich jedoch einige vielversprechende Fortschritte.
Neue Forschung 2022 verspricht Insulin-Unabhängigkeit
In einer neuen klinischen Studie verwendeten Forscher Stammzellen, um Insulin-produzierende Betazellen im Labor zu erzeugen und pflanzten sie zwei Menschen mit Typ-1-Diabetes ein [4].
Danach benötigte ein Patient 30% weniger Insulininjektionen als vor der Transplantation und der andere erreichte volle Insulinunabhängigkeit — was bedeutet, dass er nun das gesamte Insulin, das er benötigt, selbst produziert und nicht mehr spritzen muss [4, 5].
Nach den vorläufigen Ergebnissen, die im Juni 2022 bekannt gegeben wurden, lag der Blutzuckerspiegel bei beiden Patienten auch nach der Transplantation deutlich länger im Normalbereich als davor [4, 5].
Dr. Camillo Ricordi, M.D., Professor für Chirurgie und Direktor des Diabetes Research Institute an der University of Miami Miller School of Medicine und Vorsitzender des Lenkungsausschusses für die klinische Studie: "Die Ergebnisse der ersten beiden Patienten, die mit der Hälfte der Zieldosis behandelt wurden, sind bemerkenswert und ermutigend, da wir die Behandlung durch Stammzelltherapie von Patienten mit Typ-1-Diabetes weiterhin untersuchen." [5]
Diese klinische Prüfung läuft noch [4].

Herausforderunger der Stammzellbehandlung bei Diabetes
Insgesamt haben Studien bestätigt, dass Stammzelltherapie bei Typ-1-Diabetes wirksam und gut verträglich ist, mit minimalen Nebenwirkungen [1, 3, 5, 6]. Dennoch müssen Forscher erst noch verstehen, wie sie Patienten dabei helfen können, komplett unabhängig von Insulininjektionen zu werden [3] und die Herausforderungen und Bedenken hinsichtlich der Risiken dieser Therapie bleiben bestehen [1, 3, 7].
Eine grosse Herausforderung bei der Stammzellbehandlung für Diabetes Typ 1 ist, dass das Immunsystem des Patienten die transplantierten Betazellen abstossen kann [3]. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei Typ-1-Diabetes um eine Autoimmunerkrankung handelt [3].
Um dieses Problem zu vermeiden, müssen Teilnehmer an klinischen Studien mit Stammzellen auch Immunsuppressiva einnehmen [5]. Die Langzeitanwendung von Immunsuppressiva kann jedoch Nebenwirkungen haben und das Infektions- und Tumorrisiko erhöhen [7].
Die Forscher arbeiten deshalb aktiv an Technologien, die Immunsuppressiva überflüssig machen [3, 5]. Dazu gehört die Verkapselung, bei der die Betazelle in eine Kapsel kommt, die sie vor Autoimmunangriffen schützt, während sie weiter Insulin abgibt [3, 5].
Ein weiteres Hindernis besteht darin, dass einige der verwendeten Stammzellen nicht vollständig ausgereift sind und Forscher nicht mit Sicherheit wissen, wie sich diese Zellen nach einer Transplantation im Körper eines Menschen verhalten [3, 7]. Beispielsweise könnten Stammzellen auf Grund genetischer Veränderungen krebserregend werden, was das Tumorrisiko erhöht [1, 7].
Obwohl in mehreren Studien die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Stammzellen zur Behandlung von Typ-1-Diabetes festgestellt wurde, weisen Experten darauf hin, dass diese Risiken sorgfältig geprüft werden sollten und grössere Studien mit längerer Nachbeobachtung erforderlich sind [1, 6].
Die Zukunft: Ist Stammzellbehandlung ein Heilmittel für Diabetes?
Trotz der genannten Herausforderungen sind Experten zuversichtlich, dass die Stammzelltherapie tatsächlich ein vielversprechender Weg zur Heilung von Typ-1-Diabetes ist [3, 7].
2013 kamen die Autoren von Stem Cell Therapy to Cure Type 1 Diabetes: From Hype to Hope zu folgendem Schluss: „Die Anwendung der Stammzelltherapie bei der Heilung von T1D [Typ-1-Diabetes] erscheint äusserst vielversprechend und ist verbunden mit der Hoffnung auf dauerhafte Heilung“ [7].
Ein Jahrzehnt signifikanter Fortschritte später, geben sich die Autoren einer weiteren Überprüfung noch zuversichtlicher. „Trotz [der] Hindernisse“, schreiben Chen et al., „stellt die Stammzellentherapie für T1DM den fortschrittlichsten Ansatz zur Heilung von Typ-1-Diabetes dar“ [3].
Stammzellenbehandlung für Diabetes: Fazit
Die Behandlung von Diabetes mit Stammzellen ist ein spannendes Forschungsgebiet mit bisher vielversprechenden Ergebnissen [3, 7].
Wenn Wissenschaftler eine Stammzellbehandlung erfolgreich durchführen können, kann dies Menschen mit Typ-1-Diabetes helfen, ihren Blutzucker ohne Insulininjektionen im normalen Bereich zu halten [3, 4].
Allerdings müssen die langfristigen Risiken in Betracht gezogen werden und wir brauchen grössere Studien mit längerer Nachbeobachtung, bevor wir diese Therapie umfassend umsetzen können [1, 6].
Quellen
- Rahim F, Arjmand B, Shirbandi K, Payab M, Larijani B. Stem cell therapy for patients with diabetes: a systematic review and meta-analysis of metabolomics-based risks and benefits. Stem Cell Investig. 2018;5:40. Veröffentlicht 14. Nov. 2018 doi:10.21037/sci.2018.11.01. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6286886/
- Science Direct Topics, Stem cells - an overview. Aufgerufen am 22.03.2023. Verfügbar unter: https://www.sciencedirect.com/topics/engineering/stem-cells
- Chen S, Du K, Zou C. Current progress in stem cell therapy for type 1 diabetes mellitus. Stem Cell Res Ther. 2020;11(1):275. Veröffentlicht am 8. Juli 2020 doi:10.1186/s13287-020-01793-6, https://stemcellres.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13287-020-01793-6
- JDRF, Promising stem cell therapy for type 1 given green light to progress. Aufgerufen am 22.03.2023. Verfügbar unter: https://jdrf.org.uk/news/promising-stem-cell-therapy-for-type-1-given-green-light-to-progress/
- Vertex Investors, Vertex Presents New Data from VX-880 Phase 1/2 Clinical Trial at the American Diabetes Association 82nd Scientific Sessions. Aufgerufen am 22.03.2023. Verfügbar unter: https://investors.vrtx.com/news-releases/news-release-details/vertex-presents-new-data-vx-880-phase-12-clinical-trial-american
- Zhang Y, Chen W, Feng B, Cao H. The Clinical Efficacy and Safety of Stem Cell Therapy for Diabetes Mellitus: A Systematic Review and Meta-Analysis. Aging Dis. 2020;11(1):141-153. Veröffentlicht 1. Feb. 2020 doi:10.14336/AD.2019.0421. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6961772/
- Chhabra P, Brayman KL. Stem cell therapy to cure type 1 diabetes: from hype to hope. Stem Cells Transl Med. 2013;2(5):328-336. doi:10.5966/sctm.2012-0116. https://academic.oup.com/stcltm/article/2/5/328/6385737